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Die unsichtbare Mauer oder: „Warum man China trotzdem lieben kann“

111 Gründe China zu lieben Oliver Zwahlen

China steht als Reiseziel schon lange auf meiner Liste. Ein riesiges Reich, das sich über mehrere Klimazonen erstreckt und von der Küste bis ins Hochgebirge unterschiedlichste Landschaften bietet. Mit einer reichen Kultur, einer langen Vergangenheit und einer Gegenwart und Zukunft, die nicht weniger spannend ist.

Trotzdem war ich noch nie dort. Kennst du diese Länder, die zwar auf der Liste der Reiseziele für das nächste Abenteuer immer oben dabei sind – aber es aus irgendeinem Grund noch nicht auf Platz eins geschafft haben? Viele Jahre lang war auch Norwegen für mich genau so ein Land – und nachdem ich es endlich mal geschafft hatte, wollte ich gar nicht mehr weg.

Auch bei China bin ich mir ziemlich sicher, dass es mich in seinen Bann ziehen könnte. Bislang blieb es aber dabei, dass ich zwar immer mal wieder bei Geschichten und Nachrichten aus dem Land hängen bleibe. Aber im Grunde ist China nach wie vor ein riesiger weißer Fleck auf meiner Weltkarte.

Diese Tatsache beginnt mehr und mehr, mich zu stören. Und deshalb passte es ganz gut, dass jetzt mein alter Bloggerkollege Oliver Zwahlen vom Weltreiseforum ein neues Buch herausgegeben hat:

111 Gründe, China zu lieben

Tropischer Strand China Hainan

Ich durfte es schon vor Erscheinen lesen und es ist damit für mich schon das dritte Buch aus der populären 111-Gründe-Reihe des Berliner Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlags. Die Reihe ist aber auch riesig und beschäftigt sich neben diversen Ländern und Reisezielen auch mit allen möglichen anderen Themen: Ich kenne „… segeln zu gehen“ und „…um die Welt zu reisen“.

Ich mag an den „111 Gründen“, dass sie oft lehrreich sind und voll mit interessanten Fakten – aber andererseits leicht zu lesen. Die Struktur ergibt sich ja von selbst: 111 kürzere Abschnitte sorgen dafür, dass man das Buch auch mal weglegen kann und später trotzdem ohne Mühe wieder hineinfindet.

Oliver Zwahlen teilt seine „111 Gründe, China zu lieben“ zusätzlich noch einmal in zehn übergeordnete Kapitel ein: Geografie, Sprache, Essen, Kultur und so weiter.

  • Eine Liebeserklärung an das schönste Land der Welt
  • von Oliver Zwahlen (Der Sinograph & weltreiseforum.com)
  • Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag
  • Taschenbuch: 14,99€

Er hat sich mit China eines der schwierigeren Themen herausgesucht. Schließlich ist China ein Land, das (zurecht!) nicht nur positiv gesehen wird und auch in unschöner Regelmäßigkeit negative Schlagzeilen produziert: Zuletzt kamen die „Umerziehungslager“ ans Licht der Öffentlichkeit, in denen Angehörige der uigurischen Minderheit auf Linie gebracht werden.

Nicht nur dabei werden fast sämtliche Menschenrechte missachtet – der mangelnde Respekt vor den eigentlich universellen Rechten eines jeden Menschen zieht sich wie eine rote Linie durch Nachrichten aus China.

Das beißt sich natürlich mit dem Titel des Buches und ich war vor dem Lesen gespannt darauf, wie Oliver mit diesem Konflikt umgeht – schließlich kenne ich ihn schon relativ lange und weiß, dass er auch durchaus kritisch auf Dinge blicken kann.

Diese Spannung löst er dann auch gleich in seinem ersten Grund, China zu lieben, auf: „Warum man China trotzdem lieben kann“. Gleich hier widmet er sich dem schmalen Grat, auf dem er auch während der folgenden 110 Gründe wandeln wird: China liefert am laufenden Band Gründe, warum man es gerade nicht lieben kann und hört damit auch nicht auf, während Oliver Zwahlen während seiner Recherche für das Buch nach gegenteiligen Gründen sucht.

Ländliches China – Wohnhöhlen

Aber das Land auf seine Schattenseiten zu reduzieren, würde ihm eben auch nicht gerecht. Denn in den sechs Jahren, in denen der Autor in China lebte, habe er auch „jede Menge liebenswerte Seiten“ entdeckt und das Land durchaus lieben gelernt.

So wird er es im Buch fortsetzen: Hauptthema ist klar die schöne Seite Chinas. Die hässliche Seite nimmt deutlich weniger Platz ein, wird aber nicht komplett ausgeblendet und taucht im ganzen Buch immer wieder auf. So fallen auch später immer wieder Worte wie „Freiluftgefängnis Xinjiang“, „Zwangsarbeit“, „Geheimdienstverhöre“, „Flucht“ und „Zensur“ und Oliver Zwahlen lässt auch die Uigurin „S.“ auftreten – nicht ohne zu erklären, warum er ihren Namen nicht ausschreibt.

Damit ist der Rahmen gesetzt und Oliver schreibt sich warm für eine unterhaltsame Mischung aus hilfreichem Hintergrundwissen, skurrilen Fun-Facts und persönlichen Anekdoten. So lernte ich im Buch eine Menge für mich Neues über China oder es wurden mir Dinge bewusst, die ich nicht so richtig auf dem Zettel hatte: China ist beispielsweise doppelt so groß wie die EU und die Ausdehnung von Norden bis Süden ist so groß, dass die Temperaturen über das Land auch mal zwischen -50° C und + 50°C schwanken.

Auch, dass es nur wenig Reiseländer gibt, die sicherer sind als China – laut Oliver muss man sich selbst vor anderswo so üblicher Kriminalität wie Taschendiebstahl hier kaum fürchten – wäre mir jetzt nicht als erstes eingefallen. Dazu ist man in China sehr gastfreundlich und die Infrastruktur zum Reisen ist besser als fast überall sonst auf der Welt; besonders vom Bahnfahren schwärmt das Buch, aber auch Mietfahrräder eignen sich wohl hervorragend.

Solche Infos haben mich dann doch schon etwas überrascht, intuitiv hätte ich ja eher getippt, dass China eher kompliziert zum Bereisen ist. Auch sonst räumt Oliver mit allerlei Mythen auf: Die Große Mauer ist beispielsweise definitiv nicht vom Weltall aus zu sehen (manchmal nicht einmal von der Straße) und einen Glückskeks wird man in ganz China nicht finden.

Kaum sichtbar im Bild: Die Große Mauer

Viele Infos aus dem Buch sind hilfreich für eine Reise nach China, andere gut für meine Allgemeinbildung – Oliver stellt auch einige chinesische Künstler, Autoren und Rockstars (!) vor, von denen ich größtenteils noch nie gehört hatte.

Und wieder andere sind so kurios, dass sie zwar keinen großen Nutzwert haben, mir aber wohl trotzdem im Gedächtnis bleiben werden. Eine Kostprobe: Die Große Mauer wäre fast mal zu einer Straße planiert worden. Schlafanzüge gelten in China auch auf der Straße als eine Art Statussymbol. Es gibt kein chinesisches Wort für „nein“.

Viele Gründe, China zu lieben, lassen sich ziemlich leicht und locker weg lesen, ich bin aber auch einige Male im Text hängen geblieben. Nach der Lektüre des 12. Grundes zum Beispiel verbrachte ich den Rest des Abends auf Google Maps: Wusstest du, dass ein Algorithmus dafür sorgt, dass sämtliche zugängliche Landkarten Chinas verfälscht sind? Ich konnte es kaum glauben und habe fasziniert viel Zeit damit verbracht, an verschiedenen Orten Chinas zwischen Karten- und Satellitenansicht hin und her zu wechseln und zu staunen.

Und damit erfüllt China das Versprechen, dass Oliver Zwahlen gleich zu Beginn des Buches gibt: Ob China wirklich das schönste Land der Welt ist, lässt er dahingestellt. Ganz sicher ist es für ihn „aber in erster Linie das faszinierendste Land der Erde.“

Für mich waren die „111 Gründe, China zu lieben“ damit für einige Abende eine unterhaltsame und auch lehrreiche Lektüre, der man anmerkt, dass Oliver Zwahlen China kennt und liebt wie wohl nur Wenige – und außerdem für mich eine schöne Einführung ins Reich der Mitte.

Wobei ich natürlich darauf gespannt bin, was andere China-Kenner vom Buch halten werden. Da könnte sich mein Urteil theoretisch ja auch ins Gegenteil verkehren – aber davon gehe ich jetzt erst einmal nicht aus. Sobald also jemand eine Rezension veröffentlicht hat, der sich in China besser auskennt als ich, werde ich sie aber hier verlinken:

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