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Wale, Delfine und fliegende Fische am Äquator (7)

Der Wind nimmt seit Stunden stetig ab. Dafür sehen wir in jeder Richtung, kleine, dunkle Regenwolken, die über den Ozean hinwegziehen und sich irgendwo abregnen. Jetzt fängt es auch hier, an Bord der „Libertalia“, an: erst tröpfelt es ganz langsam, doch bald werden es mehr Tropfen, die immer schneller auf das Deck tropfen.

„Wo ist das Schampoo?“, ruft Johannes und wir fünf Männer reagieren schnell: Innerhalb von Sekunden sind wir alle splitternackt und eingeschäumt – die erste Dusche mit echtem Süßwasser seit fast zwei Wochen! Da lässt sich keiner zweimal bitten, so sehr wir auch unsere Abkühlungen mit dem salzigen Seewasser in den letzten Tagen genossen haben, Süßwasser fühlt sich einfach sauberer an. Und wir kriegen es gerade sozusagen freihaus geliefert, ungefiltert und direkt von oben.

Im Kalmengürtel

Ich befinde mich auf meiner letzten Etappe per Anhalter über den Atlantischen Ozean, vor knapp zwei Wochen habe ich an Bord des Segelboots „Libertalia“ den Hafen von Mindelo auf den Kapverdischen Inseln verlassen. Jetzt haben wir offensichtlich den berüchtigten Kalmengürtel erreicht, der die ganze Welt auf Höhe des Äquators umschließt: Die Wettersysteme der nördlichen und der südlichen Hemisphere treffen hier aufeinander. Die Passatwinde wehen aus beiden Richtungen auf den Äquator zu, in der Mitte scheint der Wind irritert zu sein und hört deshalb ganz auf zu blasen.

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Die Größe und der genaue Ort dieser Flautenzone verschieben sich ständig und sind nur sehr schwer vorherzusagen. Deshalb werden die großen, weltweiten Segelregatten meist hier am Äquator entschieden. Wir sind mit unserer „Libertalia“ dagegen nicht wirklich auf Geschwindigkeit aus, uns stört nur, dass wir ganz ohne Wind unseren Motor benutzen müssen.


Im Moment ist uns der jedoch, wie fast alles andere, ziemlich egal, obwohl der Wind nach dem Regenschauer gänzlich eingeschlafen ist. Wir treiben auf dem Ozean, null Knoten. Der Amerikaner Kyle ist wieder einmal der erste, der begreift, was das bedeutet: Badezeit! Er überlegt nicht lange und geht mit einem kühnen Kopfsprung über Bord. Meine Mitsegler Johannes und Arne und ich schauen sicherheitshalber kurz herunter, Kyle strahlt und es geht im offensichtlich mehr als gut, also springen wir hinterher. Um eine ausreichende Wassertiefe müssen wir uns auf jeden Fall keine Gedanken machen:

Unser „Planschbecken“ ist an dieser Stelle mehr als 4000 Meter tief.

Ein größeres Problem könnte es werden, dass der nächste „Beckenrand“ in jede Richtung mehrere Tausend Kilometer entfert ist. Deshalb hat Käpt’n Phil, der zur Sicherheit diesmal an Bord bleibt, eine lange Leine an das Heck unseres Segelboots geknotet. Wir toben im Wasser herum und bestaunen die „Libertalia“ aus diesem ungewohnten Blickwinkel. Weil kein Wind herrscht, haben wir die Segel noch nicht gerefft, also trägt die Ketch volles Tuch – so hat noch keiner von uns unser Boot gesehen.

„Unglaublich!“, und immer wieder „Wow, wow, wow!“ sind die wenigen Worte, die uns für diesen Anblick einfallen. Nach einigen Minuten klettere ich an Bord und trockne mich ab. Ich lasse den Blick kurz über den Horizont schweifen, dann fokussiere ich wieder das Ozeanblau direkt vor mir. Schon ist es wieder um mich geschehen, ich entscheide mich um, nehme noch einmal Anlauf und springe abermals schreiend in den großen Teich. Nach der kurzen Phase ohne Salz auf dem Körper nach der Dusche sind wir also alle wieder komplett eingesalzen – daran denkt im Moment aber keiner von uns.


Nur zwei Tage verbringen wir im Kalmengürtel um den Äquator. Viele Segler sind in diesem Gebiet gelangweilt – uns geht es ganz anders: Nach dem außergewöhnlichen Badeerlebnis am ersten Tag macht uns am zweiten Tag der kurze Ruf „Wale!“ von der Brücke lebendig. Beruhigenderweise halten die die großen Meeressäuger zwar großen Sicherheitsabstand und sind auch nicht richtig zu erkennen. Aber die großen Wasserfontänen sind auch in einer Seemeile Entfernung noch beeindruckend und lösen eine neue Euphoriewelle an Bord der „Libertalia“ aus.

Welle der Glückseligkeit

Und auf dieser Welle der Glückseligkeit surfen wir weiter: nachdem die Flaute vorbei ist, erleben wir noch einige perfekte Segeltage. Sonnenschein ohne Pause, tiefblaues Wasser und, vor allem, stetiger Wind von schräg hinten, besser kann es sich kein Segler wünschen. Gemächlich steuern wir der braslianischen Küste entgegen und werden dabei vom Leben im Ozean hervorragend unterhalten: Immer wieder sichten wir ganze Schwärme fliegender Fische, die sekundenlang über die Wasseroberfläche segeln.

Gelegentlich endet so ein Flug für einen Fisch tödlich auf unserem Deck – mit so einem schwimmenden Hindernis scheinen die Fische auf ihren Ausflügen über Wasser nicht zu rechnen. Cleverer sind da die Delfine, die uns nach immerhin vierzehn Tagen auf See endlich das erste Mal begleiten: Sie nutzen ganz gezielt die Welle, die unser Bug vor sich herschiebt, für ihre Sprünge und Kunststücke. Lange haben wir auf sie gewartet und auch sie scheinen lange kein Schiff gesehen zu haben. Mit all dem ihnen eigenen Stolz und ihrer Eitelkeit scheinen sie zu genießen, dass sie die komplette Besatzung an Bord gelockt haben. Die Delfinschule von etwa 30 Tieren begleitet uns einen kompletten Nachmittag.


Nach sechzehn Tagen und 1700 nautischen Meilen auf hoher See ist es schließlich Johannes, der auf seiner Wachschicht die Ehre hat, den Ausruf zu tätigen, dem jeder Seemann, trotz aller Liebe zur See, schon seit Jahrhunderten entgegenfiebert:

„Land in Sicht!“

Die Hochhäuser der braslianischen Millionenstadt Recife sind das erste, was wir an der anderen Seite des Ozeans ausmachen können. Bei mir schleicht sich ein bisschen Melancholie in die Stimmung, während wir uns die dicke Zigarre teilen, die Käpt’n Phil für besondere Anlässe bereit hält. Schließlich geht mit den letzten Meilen auf See auch mein Abenteuer langsam zu Ende. Die Freude behält trotzdem die Überhand: Der Atlantische Ozean ist per Anhalter überquert, kaum zu fassen!

Und außerdem wartet im Hafen von Recife bestimmt eine echte Dusche auf uns. Mit sauberem Süßwasser, einfach so, aus der Leitung.

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