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Neues Boot, neuer Käpt’n und neue Freunde auf Fuerteventura (3)

Der starke Schiffsdiesel dröhnt laut, vom Seegang des Atlantiks spüren die Passagiere kaum etwas, hier oben, an Deck der riesigen Fähre von Gran Canaria nach Fuerteventura. Dafür genießen sie ihr Eis und ihre Cappucinos, den Ausblick auf die tiefblaue See und auf die Insel Gran Canaria. Mich dagegen plagt das schlechte Gewissen: Statt wie sonst per Anhalter auf Segelbooten unterwegs zu sein, reise ich heute als ganz normal zahlender Fahrgast per Linienfähre nach Fuerteventura.

Aber es gibt einen sehr guten Grund dafür: Ich habe meine nächste Mitfahrgelegenheit gefunden – mit der Segelyacht „Libertalia“ geht es in den nächsten Wochen von Fuerteventura aus über die Kapverdischen Inseln nach Brasilien. Vor zwei Tagen erreichte mich der Anruf von Phil, dem deutschen Kapitän der „Libertalia“, heute morgen habe ich mich von Randy und seiner „Mystique“, die mich von Gibraltar auf die Kanarischen Inseln gebracht hatten, verabschiedet.

Die "Libertalia", meine nächste Mitfahrgelegenheit
Die „Libertalia“, meine nächste Mitfahrgelegenheit

Mit meinem nächsten Boot verbindet mich schon eine längere Geschichte. Vor etwa anderthalb Jahren machte ich meine allerersten Segelerfahrungen mit Phil und der „Libertalia“. Damals, vor der portugiesischen Atlantikküste, an Deck dieses 14 Meter langen Stahlboots wurde meine Idee von der Ozeanüberquerung per Anhalter geboren.

Ich hielt seitdem Kontakt zu meinem alten Käpt’n und wusste deshalb schon länger von Phils Plänen, in diesem Winter über den Ozean zu segeln. Klar, dass ich mich schon vor meiner Abreise aus Deutschland im Herbst bei ihm meldete und nach einer freien Koje erkundigte. Damals lautete die Antwort noch „Sorry, Timo, aber ich habe schon jeden Platz vergeben.“. Ich musste mich mit der ersten Position auf der Warteliste zufrieden geben. Kurz, nachem Randy und ich dann unsere Leinen auf Gracn Canaria fest gemacht hatten, kam Phils Mail: Eine Koje sei, wie auch immer, frei geworden, und dies sei jetzt mein Platz für den großen Törn über den Atlantischen Ozean.

Außer mir und dem Kapitän werden noch zwei weitere Crewmitglieder das Abenteuer auf See angehen: der 25jährige Amerikaner Kyle reist so zu sagen auf den Spuren seines Vaters, der noch vor den Zeiten von Selbststeueranlage und Satellitennavigation über den großen Teich segelte. Cecilie ist das einzige Mädel an Bord, die Norwegerin ist 23 Jahre alt und arbeitete zuletzt als Geologin an Bord eines großen Forschungsschiff auf der Nordsee. Die gesamte Crew kann es kaum erwarten, endlich die Leinen los zu machen.

Auch ein neuer Grill musste gebaut werden.

Jedoch ist es, wie für uns auch für die „Libertalia“ die erste Atlantiküberquerung. Also gibt es noch allerlei vor zu bereiten, Crew und Boot wollen fit gemacht werden für eine anstrengende Zeit auf See. Unser Kapitän installiert neue Solarzellen, die uns draußen auf See mit Strom versorgen sollen, Kyle und ich flicken Segel und kümmern uns um neue Wasseranschlüsse.

Eine Salzwasserleitung soll unterwegs helfen, kostbares Trinkwasser zu sparen. Während dessen versucht Cecilie etwas Ordnung zu halten in dieser Männer-WG auf See und sorgt für ein tägliches Pfannkuchenfrühstück, um „ihre“ Kerle bei Laune zu halten.

Unser 32jähriger Käpt’n Phil lebt seit knapp drei Jahren auf seiner „Libertalia“ und ist seitdem von Belgien aus bis hierher gesegelt. Er liebt sein Leben auf See: „Mein Boot verlasse ich erst, wenn ich es versenkt habe“, sagt er, „und dann werde ich mir sofort ein Neues besorgen!“. Der gebürtige Aachener fühlt sich als echter Weltbürger, spricht fünf Sprachen und genießt es immer wieder, in kleinen Hafenörtchen entlang seiner Route um die Welt, Kontakte zu knüpfen und für einige Zeit ein Zuhause zu finden.

Nach seinem Wirtschaftsstudium wäre sein „Leben fast in die völlig falsche Richtung gegangen“, wie er es formuliert. Ein Leben im Dienst einer erfolgreichen Karriere in der Wirtschaft, das wäre für ihn ein Albtraum. Gemerkt hat Käpt’n Phil das nach seinem Studium während eines Rucksacktrips in Brasilien, der Trip dehnte sich immer länger und zurück ging es schlussendlich erst nach drei Jahren.

Um sein „Zigeunerleben“, wie er es nennt, leben und auch bezahlen zu können, hat Phil sich den passenden Job selber zurecht geschneidert: Per Email übersetzt er Verträge und Werbetexte für internationale Unternehmen. So ist der Piratenfan an keinen Ort gebunden, um die nötigen Euros für Hafengebühren und seineb Proviant auf der „Libertalia“ zu verdienen.

Crazy-Peter

Im Sporthafen von Gran Tarajal sind Phil und Kyle jetzt dabei, den Außenbordmotor für das Beiboot wieder fit zu machen. An der brasilianischen Küste gibt es viel weniger Häfen als auf der europäischen Seite des Atlantiks, so dass die „Libertalia“ hauptsächlich in verschiedenen Buchten vor Anker liegen wird.

Das Beiboot wird dann die einzige Verbindung zum Land sein, ein funktionierender Motor würde das Leben an der südamrikanischen Westküste also sehr erleichtern. Gerade, als Phil und Kyle an dem vier PS starken Zweitakter von Yamaha zu verzweifeln drohen, kommt die Rettung über das Dock geschlendert. „Crazy-Peter“, ein 52jähriger Engländer, hat sich seinen Beinamen durch wochenlanges Ankern in der Bucht von Gran Tarajal verdient. Bei Ostwind und starkem Wellengang ein ganz und gar ungemütliches Unterfangen, „aber die Kohle für den Hafen spare ich mir so“, sagt Peter.

Seit zehn Jahren lebt er auf seinem neun Meter kurzem Segelboot und betont gerne, dass er in dieser Zeit 120.000 Seemeilen zurück gelegt hat, also rechnerisch die Welt fast fünf Mal umrundet hat. „Lasst mich mal schauen! Das ist ein Yamahamotor aus den 80er Jahren, die Dinger sind kugelsicher und unzerstörbar!“, sagt er und hantiert für einige Minuten im Innenleben unseres Motors herum. Jetzt zieht er zweimal an der Anlasserleine, die Maschine raucht ein wenig und – läuft! Jubel auf der „Libertalia“!

Phil, Kyle und vor allem „Crazy-Peter“ haben sich jetzt eine Dose „Tropical“, dem lokalen, kanarischen Bier, verdient. Während die drei an Deck sitzen und sich Seemannsgeschichten erzählen, nutze ich die Gelegenheit und drehe eine Runde mit dem roten Schlauchboot durch den Hafen.

Dabei habe ich Mühe, nicht all zu breit zu grinsen: es macht Spaß, und außerdem wird mir klar: Unser Segelboot jetzt bereit für den großen Schlag, bald wird es losgehen Richtung Südwesten. Den nächsten Stopp planen wir auf den Kapverdischen Inseln, einer Inselgruppe mitten im Atlantik, eintausend Seemeilen südwestlich von Fuerteventura. Mein Abenteuer geht also weiter: per Anhalter über den Atlantik, nur mit der Kraft des Windes in den Segeln. Auf einem winzigen Boot, ohne das Dröhnen eines Schiffsdiesels und ohne schlechtes Gewissen.

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