Männer-WG im Nirgendwo (6)

Eine große Runde hat sich um den Tisch im Salon der „Libertalia“ versammelt. Es ist bald Zeit für das Abendessen, und gekocht wird auf dem Segelboot meistens gemeinschaftlich. Nur ein Mann bleibt immer an Deck, um Wache zu halten, er bekommt dann die erste Portion, sobald das Essen fertig ist.

Heute gibt es einen Eintopf aus Kartoffeln, Bohnen und der Jam-Wurzel, die wir auf den Kapverdischen Inseln kennen gelernt haben. Sie ähnelt im Geschmack der Kartoffel, erhält beim Garen jedoch eine cremige Konsistenz, die dem Eintopf das gewisse Etwas geben soll. Käpt’n Phil schält also die Jam-Wurzeln, Kyle kümmert sich um die Zwiebeln und ich hacke den Knoblauch, den wir für jede Mahlzeit reichlich verschnippeln.

Kartoffeln, Bohnen und Jam-Wurzeln

Währenddessen ist Arne dafür zuständig, die Übersicht zu bewahren, er ist vielleicht der beste Koch auf dem Boot. Dass der 25jährige überhaupt mit an Bord ist, hat sich erst ganz kurz vor dem Ablegen der „Libertalia“ in Mindelo, Kap Verde, ergeben. Der Heidelberger stand plötzlich mit seinem gleichaltrigen Kumpel Johannis an unserem Ponton und fragte, ob wir nicht noch Crew benötigten.

Da wir wir mit der Norwegerin Cecilie gerade ein Mannschaftsmitglied verloren hatten, luden wir die beiden auf ein Bierchen an Bord ein und sie erzählten uns ihre Geschichte. Sie seien im August mit dem Fahhrad in Deutschland aufgebrochen, und dann in Marokko auf ein Segelboot umgestiegen, dass sie bis auf die Kapverdischen Inseln brachte.

Jetzt möchten sie ihre Fahrradtour gerne in Südamerika fortsetzen. Käpt’n Phil, Kyle und ich fanden diesen Plan mehr als sympathisch. Außerdem gefiel uns der Gedanke, ein paar mehr Leute an Bord zu haben: Schließlich bedeutet das für uns unter anderm auch mehr Freizeit zwischen den Wachschichten.

Das sind von links: Kyle, Johannes, Phils Füße und Arne
Das sind von links: Kyle, Johannes, Phils Füße und Arne

Also wohnen jetzt fünf junge Männer zwischen 25 und 32 Jahren auf der 14 Meter langen „Libertalia“. Zwei bis drei Wochen wird die letzte Etappe über den Atlantischen Ozean etwa dauern, so lange gilt es, gemeinsam den Haushalt zu meistern. Zum Kochen findet sich eigentlich immer jemand, beim Abwasch sieht das schon anders aus.

Auch räumt keiner von uns gerne auf, so dass der Salon meist ziemlich chaotisch aussieht. Zum Glück sind wir alle das Leben in Wohngemeinschaften gewöhnt, so dass sich keiner ersthaft daran stört, wenn auf dem Esstisch zwischen unseren Tellern auch noch Schwimmwesten, Werkzeug und Zahnpasta herumliegen.

Viel lieber beschäftigen wir uns zum Beispiel mit Angeln. Gerade gestern haben wir unseren ersten Fang gelandet: Eine mittelgroße Dorade sprang auf unseren Köder an und sorgte so für ungewohnte Betriebsamkeit an Deck: Blitzschnell war sie ausgenommen, Reis als Beilage gekocht und der bordeigene Grill angeschmissen. Jeder von uns fünf dieser Hochsee-Wohngemeinschaft kannte seine Aufgabe und so dauerte es keine halbe Stunde vom Anbeißen des Fisches bis zum ersten Biss in das fangfrische, weiße Fleisch der Dorade.

Ebenfalls großen Spaß bereitet es uns, unseren Drachen steigen zu lassen. An ihm haben wir eine Kamera aufgehängt und damit einige schöne Luftaufnahmen von der „Libertalia“ und dem Ozean gemacht.

Für gute Laune sorgt auch jedes kleine Wölkchen, dass uns für kurze Zeit ein wenig Schatten spendet. Jeden Tag wird es wärmer, was uns beweist, dass unser Kompass noch stimmt: Wir segeln genau auf Kurs 180 Grad Süd. Sogar die Nächte sind hier im tropischen Teil des Atlantiks so lau, dass es sich kaum lohnt, ein T-Shirt über zu ziehen.

Die meiste Zeit des Tages hangeln wir uns nur mit unseren Badehosen bekleidet über das Deck unseres Zuhauses. Die Hitze macht träge, wohl deshalb werden unsere Bärte immer länger – wir sind ja schließlich unter uns. Große Erleichterung bietet uns jeden Tag unsere primitive Salzwasserdusche: Ein Gartenschlauch, den wir vom Waschbecken aus auf das Vordeck gelegt haben, führt Meerwasser zum Duschen.

Zwar wird auch der Atlantik an jeden Tag, an dem wir uns dem Äquator nähern, wärmer, aber noch kühlt das Wasser angenehm und wir genießen es, uns anschließend vom Ozeanwind trockenpusten zu lassen. So wehen die Tage an uns vorbei, während die „Libertalia“ unermüdlich durch die See stampft.

Essen ist das größte!
Essen ist das größte!

Der Eintopf brodelt in der Kombüse auf dem bordeigenen Methanolkocher, nur Arne steht noch daneben und passt auf, dass durch das Schaukeln des Bootes nichts verschütt geht. Käpt’n Phil, Kyle, Johannis und ich sitzen an Deck und versuchen wie so oft in letzter Zeit, uns zu verbildlichen, wo genau wir eigentlich gerade sind.

Zwar kennen wir natürlich dank des GPS-Gerätes unsere exakte Postion: Wir segeln auf 3 Grad nördlicher Breite und 25 Grad westlicher Länge. Allerdings sind wir jetzt so weit draußen auf dem Ozean, dass uns jeder Bezugspunkt fehlt. Der Miniglobus, der über der Kombüse baumelt, sagt uns, dass etwa 1000 Seemeilen östlich von uns der Kamerun liegt und 1500 Meilen westlich Brasilien.

Gen Norden und Süden müssten wir schon um den halben Erdball segeln, um auf Land zu stoßen: nur die Eisschollen der Arktis und Antarktis würden unseren Weg begrenzen. Selbst die lokale Zeitzone hilft uns nicht wirklich weiter: Wir schätzen, dass hier die mittelatlantische Zeit herrschen müsste. Außer den wenigen Bewohnern einiger, kleiner Hochseeinseln, richtet sich allerdings niemand nach ihr.

Bevor wir näher darüber nachdenken können, wie weit im Nirgendwo wir uns gerade befinden, ruft Arne uns aus unserm Gepräch heraus: „Jungs, das Futter ist fertig!“. Unser Küchenmeister balanciert die erste Schale mit dampfenden Eintopf über die Stufen des Niederganges nach oben. Wir tun es ihm schnell nach, und kurz darauf sitzen wir schon wieder oben in unserer Runde, auf den Holzbänken an Deck.

Schweigend schaufeln wir unser Abendessen in uns hinein, jeder scheint mit seinen Gedanken ganz bei sich zu sein. Über unserem Ziel, dem südamerikanischen Kontinent im Westen, scheint gerade die Sonne im  Atlantik zu versinken. Sie taucht den Himmel in ein fast unwirkliches Feuerrot und beendet so den sechsten Tag unserer Passage über den Ozean.

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Timo Peters
Timo Petershttps://www.bruderleichtfuss.com
Timo Peters ist der Gründer und Chefabenteurer bei bruderleichtfuss.com. Ich verbringe meine meiste Zeit auf Reisen und stehe auf Abenteuer aller Art. Ich bin gerne in der Natur unterwegs: Zu Land wandere ich mit meinem Zelt durch die Wildnis, zur See gerne auf Segelbooten. Außerdem habe ich eine Leidenschaft für Reisen per Anhalter. Hier findest du mehr Infos über mich und diesen Blog.

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