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Rezept gegen die Dunkelheit: Immer Richtung Sonne!

Winterlandschaft Berge Fjorde Norwegen
Der Wind wird stärker und eisiger, während ich mich Schritt für Schritt dem Bergkamm oberhalb Stongfjordens nähere. Dick eingepackt stapfe ich durch den Schnee. Vor einer knappen Stunde bin ich unten am Fjord gestartet – in dem Ort, den ich mittlerweile mein Zuhause nenne.

Es ist Dezember und damit ist die Dunkelheit angekommen hier: Zwar liegen wir hier noch südlich des Polarkreises, die Sonne steigt also jeden Tag noch für ein paar Stunden über den Horizont. Allerdings gibt es ein Phänomen, das ich aus Norddeutschland nun so überhaupt nicht kenne: Stongfjorden ist von Bergen umgeben. Und die Sonne steht jetzt im Winter so tief am Himmel, dass ihre Strahlen jetzt für einige Wochen den Ort nicht erreichen. Es wird also zwar hell, aber wir liegen im Schatten der Berge.

Auch bei schönstem Winterwetter: Das Dorf unten am Fjord liegt jetzt für einige Wochen im Schatten

Die norwegische Antwort auf die Dunkelheit heisst: “Koselighet”. Gemütlichkeit. Dazu gehört viel künstliches Licht in allen Formen. Nicht nur jetzt, wo es langsam auf Weihnachten zugeht, stehen bei den Norwegern regelmäßig Kerzen in rauen Mengen auf dem Einkaufszettel. Sie brennen in allen Räumen, auf jedem Tisch und auf jeder Fensterbank.

Schaffelle dienen als Teppiche, Sitzunterlagen und Decken und jedes Haus in Stongfjorden heizt mit dem Holzofen. Auch dabei wird nicht gespart: Die Norweger heizen ihre Holzhäuschen bis an die Schmerzgrenze, in den Wohnzimmern meiner Nachbarn gerate ich jetzt im Winter oft ins Schwitzen.

Auch die norwegische Getränkeauswahl ist ganz auf den Winter eingestellt: Vor dem Kaminfeuer trinkt man jede Menge heiße Schokolade und Kaffee – gerne auch mit Schuss als Irish Coffee serviert.

Hier geht’s hoch in die Berge – der Weg in die Sonne!

Diese kleinen Tricks helfen gegen die Winterdepression – und doch merke ich, dass ich ganz ohne Sonnenlicht nicht auskomme. Und so muss ich die warme Gemütlichkeit verlassen: Um meinen Durst nach Licht zu stillen, muss ich hinauf in die Berge. Dorthin, wo die Sonne scheint.

Und ich bin auf einem guten Weg. Nur knappe hundert Höhenmeter fehlen mir noch, dann bin ich auf dem Bergplateau oberhalb Stongfjordens angkommen. Ich kenne die Landschaft bereits aus dem Sommer, als ich mehrere Wanderungen hierher unternommen habe. Trotzdem wirkt jetzt jeder Schritt auf mich neu und völlig unbekannt.

Mehr über Wandern und Norwegen:

Hier findest du mehr → Wandertouren in Norwegen.

Noch mehr Tipps und Routen gibt’s in meinem → Wanderführer für Norwegen.

Schau dir auch meine → Packliste für Norwegen und meine → Tipps zur Planung einer Norwegen-Reise an!

Selbst, wenn der Ort unten schneefrei ist, hat der norwegische Winter hier oberhalb der 400-Meter-Marke alles im Griff. Nur vereinzelt blitzen schwarze Felswände auf, der Rest dieser Welt ist jetzt weiß. Mein Wanderpfad ist kaum zu erkennen, ich orientiere mich an markanten Felsen, Baumgruppen und umliegenden Gipfeln.

Ich ziehe mir meinen Schal vor das Gesicht und lasse nur einen Sehschlitz für meine Augen. Der “Eingang” in die Bergwelt liegt in der Furt zwischen den Bergen Skålefjellet und Fanafjellet und hat dieselbe Wirkung wie ein Trichter: Der Wind wird hier noch einmal stärker. Meine Schritte werden dafür schneller, das wärmt.

Schließlich stehe ich auf dem Bergkamm. Der Wind lässt schlagartig nach, statt dessen: Sonne! Vor mir liegt eine leuchtend weiße Winterlandschaft: Zahlreiche Berggipfel, einige zugefrorene Seen spiegeln das Sonnenlicht. Ich muss jetzt meine Augen zukneifen: So viel Licht sind sie im Moment nicht gewöhnt.

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Aber ich merke, wie gut die Sonne mir bekommt: Ich werfe ein paar Schneebälle auf ein Felswand, laufe ein bisschen im Zick-Zack umher und genieße die Aussicht. Vor zehn Minuten war ich noch außer Puste, jetzt plötzlich wieder voller Energie. Trotzdem suche ich mir schließlich einen Platz für eine Rast und packe mein Outdoor-Sitzkissen aus, dazu Schokolade und eine Thermosflasche.

Unter mir liegt Stongfjorden. Eine winzige Ansammlung von Häusern am Ende eines kleinen Fjords. Die Norweger haben schon wieder die Straßenlaternen an der einzigen Straße des Ortes eingeschaltet, auch die Fenster der Holzhäuser sind hell erleuchtet. Ein Fischerboot tuckert gemütlich über den Fjord.

Es hat jetzt begonnen, zu dämmern. Bald wird auch hier oben die Dunkelheit wieder einkehren. Eigentlich war die Idee, an dieser Stelle umzukehren und wieder abzusteigen. Doch ich bin euphorisiert und habe zum Glück eine Stirnlampe dabei. Also beschließe ich, noch einen Gipfel mit zu nehmen – wo ich schon mal hier sind.

Und so breche ich auf und stapfe weiter durch den Schnee, der hier jetzt an einigen Stellen eisig überfroren ist. Ohne meine Grödel, eine Art Schneeketten für meine Wanderschuhe, käme ich hier oben nicht mehr vorran.

Auf der Spitze des Hekkelfjelles mache ich jetzt nur kurz Halt, auch wenn ich jetzt eine Pause gebrauchen könnte. Langsam merke ich, dass ich müde werde. Das Wandern im Schnee ist ungleich anstrengender als auf festem Untergrund und ich bin jetzt auch seit über vier Stunden im Schnee  unterwegs. Aber ich muss mich beeilen, um unten anzukommen, bevor die Nacht da ist.

Beim Abstieg befinde ich mich in Gedanken schon unten in meinem Wohnzimmer: Das Feuer knistert im Kamin, dazu ein warmer Kakao bei Kerzenlicht – ich werde mir die norwegisch-winterliche Koseligket heute verdient haben.

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